Workarounds sind Streit-Hacks

Der perfekte Mensch existiert ebenso wie das perfekte Computerprogramm – nämlich gar nicht. Man kann Software wie sich selbst so lange selbstoptimieren wie man will, fehlerhaft bleibt es immer. Auch Computerprogramme sind nur Menschen, könnte man sagen.

Als aufgeklärte Wesen wissen wir mittlerweile in der Theorie: Die Persönlichkeit von anderen Menschen verändern zu wollen, das kann nur schiefgehen. Man sollte Menschen nehmen, so wie sie sind (mit grossem Pathos zu sprechen, bitte!).

Real ist eher, was uns schon andernorts begegnet ist: «Ja, er ist o.k., und diese Macke da, da biege ich ihn dann schon noch zurecht». So manche Ehe ist an dieser Illusion gescheitert, manch Arbeitsteam daran zerbrochen. Der notorisch verspätete Arbeitskollege, die impulsive Ehefrau – jeder hat seine «Programm-Bugs», die Streitpotenzial bergen. Da ist der Blick in die gar nicht mal so emotionslose Welt der Computerprogramme hilfreich.

Wegen einer kleinen Unzulänglichkeit in der Programmierung können die Softwarefirmen nicht das gesamte Programm einstampfen, und wir alle sind ja keine Informatiker, die selbst in die Programmierung eingreifen können. Dafür werden stattdessen kleine «Workarounds» veröffentlicht, also kleine Tricks, um ein bestehendes Problem zu umgehen. Das kann eine bestimmte Tastenkombination für «verschwundene» Lieblingsbefehle sein, eine versteckte Option bei den Programm-Einstellungen oder ein kleiner «Zusatz», der das Problem zu umschiffen hilft.

Statt nun den geliebten Menschen also in einer langwierigen, teuren und wahrscheinlich ergebnislosen Psychotherapie «reparieren» zu lassen oder sich jahrelang daran abzuarbeiten, die Macken der Ehefrau wegzukriegen, brauchen wir Workarounds für nervige Macken. Und die beste Suchmaschine dafür ist der Kreativprozessor, der zwischen unseren Ohren sitzt.

Ich erzähle von einem Beispiel in meinen eigenen vier Wänden: Wenn sich mein Lieblingsmensch beim Morgenkaffee über einen schrecklichen Zeitungsartikel lauthals ärgerte, fand ich es nicht lustig, wenn ich dessen Ärger abbekam. Umgekehrt natürlich auch.

Nach einigen unerfreulichen Morgenessen erkannten wir Handlungsbedarf. Ärger runterschlucken war ebenso wenig eine Option wie das Gegenüber mit dem eigenen Ärger einzudecken. Nach ein paar Versuchen haben wir folgende Lösung gefunden: Wer sich am Morgen aufregt, sagt das dem Plüsch-Corona-Virus, den wir vor Kurzem geschenkt bekamen, mit den Worten: «Coroni, wir müssen reden!», und teilen dem Virus unseren Ärger mit. Seither sind die Morgenessen nicht nur entspannter, sondern oft auch lustig.

Noch ein Beispiel: Die vielen kleinen Haushaltsnervigkeiten (dreckiges Geschirr im Schlafzimmer liegengelassen, Klo hinter sich nicht geputzt … – braucht es noch mehr Beispiele?) werden auf den Familien-Chat «Wall Of Haushalts-Shame» gestellt und kommentiert. Ob die kleinen Haushaltssünden seither abgenommen haben, muss noch in einer universitären Gesamtstudie evaluiert werden – das Streitpotenzial ist seither jedoch merklich reduziert.

Wichtig dabei: Das, was im Moment nervt, kann ausgedrückt werden, der Mücken-Ärger muss nicht runtergeschluckt werden und kann sich so schlechter zu einem Frust-Elefanten entwickeln.