50x besser streiten – wieso?

Streiten ist doof. Immer. Streiten ist aber auch normal, streiten ist auch unvermeidlich, streiten gehört auch zum Leben. Wie Steuern zahlen und wie Grippe. Nichtsdestotrotz: Streiten ist doof. Immer. Wenn mir Menschen erwidern, streiten sei doch etwas Gutes, klingelt sofort meine Alarmglocke, und ich frage mich:

  • braucht er die starken Emotionen im Streit, um sich selbst zu spüren, weil er nur so Zugang zu den eigenen Gefühlen hat?
  • braucht sie die Eskalation, um in den Kampf-Modus zu kommen, weil sie sich nur so durchsetzen kann?
  • braucht er den Streit, um Spannungen abzubauen, weil er nie gelernt hat, wie das auch konstruktiv gehen könnte?
  • braucht sie die heftigen negativen Emotionen, um die tiefere Auseinandersetzung mit dem Partner zu vermeiden, weil die Themen tiefer liegen und unangenehm sind?

Die Sprache gibt ebenfalls einen Hinweis: Wenn wir Konflikte oder unterschiedliche Meinungen konstruktiv austragen, dann «diskutieren» wir engagiert und kontrovers, oder wir «ringen» um eine Lösung. Von «Streit» reden wir erst dann, wenn wir uns durch Emotionen oder Angriffe persönlich infrage gestellt fühlen und uns so zu wehren beginnen, dass es auch für das Gegenüber schwierig wird, ruhig zu bleiben. Deshalb bleibe ich dabei: Streit ist ein falscher Weg, um Probleme zu lösen,

Streit ist doof, auch wenn er unausweichlich ist.

Ziel: Wachsen!

Passend finde ich den Satz: «Herumbrüllen hilft nicht. Reflektieren hilft». Statt Streit schönzureden, halte ich es für sinnvoller, besser streiten zu lernen. Das Ziel dabei ist immer: die negative Streitenergie raschestmöglich verstehen, auflösen oder umwandeln, damit konstruktive Wege oder Win-win-Lösungen entstehen.

Konfliktkommunikation läuft anders

In Konflikten funktioniert Kommunikation anders als im Alltag – das ist ein roter Faden durch dieses Buch. Im Streit ist irgendetwas in Schieflage: Ich fühle mich vom Gegenüber infrage gestellt oder angegriffen, verletzt, beleidigt, ungerecht behandelt; die Beziehung ist in Gefahr; ich möchte meine Meinung, meine Absicht, mein Ziel, meine Idee durchsetzen.

Dabei ist mein emotionales Zentrum im Alarmzustand, und deshalb wird ein grosser Teil meiner Energie und meines Bewusstseins dafür benötigt, diese innere Verunsicherung wieder zu stabilisieren. Das bedeutet:

  • Mein Bewusstsein ist mit meinen Argumenten, meinen Emotionen, meinen Zielen beschäftigt. Also mit mir selbst.
  • Die Folge: Nur wenig Kapazität bleibt übrig für das, was sich hinter dieser Oberfläche versteckt.
  • Und natürlich bleibt am wenigsten Energie übrig fur das, was mein Gegenüber eigentlich sagen möchte.

Meine eigene Kommunikation ist also gestört, und umso schwerer fällt es, die gestörte Kommunikation meines Gegenübers einzuordnen oder adäquat darauf zu reagieren. Mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Nichts funktioniert wie sonst.

Der «magische Blick»

In Konfliktsituationen verhält es sich ein wenig wie bei den «Magic Eye»-Bildern (auch Stereoskopie genannt), die eine Weile lang sehr populär waren. Oberflächlich sehe ich nur ein Wirrwarr von Farben und Strichen. Erst wenn ich das Bild nahe an mein Gesicht halte, meine Augen gleichzeitig auf «Weitsicht» einstelle und mir Zeit nehme, erhält die wirre Oberfläche einen dreidimensionalen Charakter und erscheint plötzlich ein klares «Bild hinter dem Bild». So verhält es sich auch beim Streiten. Um im oberflächlichen Streit weiterzukommen, müssen wir unsere alltäglichen Kommunikationsgewohnheiten verlassen. Beispielbild.

Eine Kiste mit kleinen Werkzeugen

Es gibt zahlreiche wertvolle, interessante und lehrreiche Konfliktlösungstheorien. Einige davon sind das «Hintergrund-rauschen», das dieses Buch erst möglich gemacht hat. Hier jedoch geht es um viele spezifische Ideen und konkrete Anwendungen. Das ist die Idee dieses Buchs: Eine Werk-zeugkiste mit ganz unterschiedlichen praktischen Vorschlägen, um jeweils auswählen zu können, was mir gerade am meisten entspricht.

Neue Vorschläge? – Danke!

Haben Sie eines der Werkzeuge verbessert? Gute Erfahrungen damit gemacht? Oder schlechte? Kennen Sie selbst ein «Besser streiten»-Tool, das hier fehlt? Lassen Sie es mich wissen! Ich freue mich, von Ihren Erfahrungen zu lernen.

Thierry Moosbrugger