„Und“ statt „aber“ – die Wand und die Hand

«Du darfst noch ein bisschen lesen, aber um acht Uhr löschst du das Licht.» – Ein Standardsatz in den Kinderzimmern der Welt. Was das Kind dabei hört, sagt der Held Jon Snow im Fantasy-Epos Game Of Thrones so: «Alles, was vor dem ‹Aber› gesagt wird, ist Pferdescheisse.»

Genau. Der Zwerg im Buch, der gerade einem Drachen begegnet, und mein neues Legoflugzeug, bei dem ich nur noch den Flügel fertigbauen muss – das ist meinen Eltern egal. Wichtig ist nur, wann die Lichter ausgehen. Der Lockdown im Kinderzimmer als göttliche Ordnung.

«Aber» in einer Pantomime dargestellt – eine einfache Aufgabe: Beim Wort «aber» geht der Zeigefinger lehrmeisterlich in die Luft – Punkt gewonnen. Die Geste sagt dabei: «Achtung! Jetzt pass auf, weil ich der Boss bin und jetzt das Wichtige kommt!» So wird aus der Leseerlaubnis eine Drohung, bestenfalls ein Zugeständnis, bei dem vom Kind ungesagt mindestens ein schlechtes Gewissen gewünscht wird.

Was im Kinderzimmer gilt, gilt auch in der Elternstube, auch wenn sie selten einem epischen Schlachtfeld gleicht. «Ja, du hast mir wirklich schöne Blumen gekauft, aber ich musste meine Mails checken.» Wer auch immer Ihnen die Blumen geschenkt hat, wird sich nach dieser Formulierung hinter die Mails zurückgesetzt fühlen.

Denn das Wort «aber» zieht bildlich eine Wand auf, und der erste Teilsatz verschwindet dahinter. Wir haben uns daran gewöhnt, die Argumente des Gegenübers mit «aber» zu beantworten. Wir spielen uns oft vor, damit die Argumente des anderen wertzuschätzen (wir «erwähnen» sie ja). Und wir stellen dabei unsere eigene Seite strahlend vor die Wand.

«Sie haben recht, aber …» heisst unter dem Strich: «Sie haben nicht alles bedacht, und ich sage Ihnen jetzt, was bei Ihnen falsch ist.» Auf diese Art bildet «aber» immer erst mal eine Front und stellt meine Erkenntnis über die des Gegenübers.

Aber (!): Es gibt einen Ausweg. Und der ist ausgerechnet das unscheinbare, unterschätzte Wörtchen «und». Denn: Wenn «aber» eine Wand ist, dann ist «und» eine Hand. «Bis acht Uhr darfst du noch lesen, und dann löschst du das Licht.» – Lesen Sie es laut, das tönt automatisch anders.

«Und» verbindet Teilsätze gleichwertig, ohne den ersten Gedanken implizit abzuwerten. Statt die Teilsätze durch eine Wand zu trennen, schafft «und» Brücken und reicht die Hand. Das tönt banal, und es hat eine beinahe universelle Wirkung. Probieren Sie es aus und ersetzen Sie in sämtlichen Sätzen «aber» durch «und».

Als ich mir so selbst im Alltag zuhörte, war ich überrascht, wie diese «Kommunikation der kleinen Fronten» den Alltag durchwirkt. Ich war entsetzt, wie oft ich mit «aber» mikroskopische Abwertungen vornahm. Ich war verblüfft, wie problemlos sich «aber» durch «und» in fast jedem Fall ersetzen liess. Und ich war erstaunt, wie diese kleine Änderung für Entspannung in Streitgesprächen sorgen kann.

Zuletzt: Ja, Sprachgewohnheiten sind Despotinnen. Wenn ich Texte schreiben muss, bin ich immer wieder verärgert, wie mich mein «Aber»-Embargo zwingt, Gedanken besser zu fassen, statt auf die vertraute Wand- und Frontenmechanik zurückgreifen. Aber (!) es lohnt sich.